BVerfG-Urteil: Die Würfel sind gefallen!

Liebe Familien,

am 25. Mai 2022 hat das Bundesverfassungsgericht im Namen des Volkes entschieden:

• Die soziale Pflegeversicherung ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.07.2023 eine Neuregelung zu treffen.

• Das Beitragsrecht der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 GG.

Das bedeutet:

Für die Zeit bis zur Neuregelung können keine Ansprüche geltend gemacht werden. Schon heute zeichnet sich ab, dass es erneut zu einer Minimallösung kommt. Die ruhend gestellten Verfahren können wieder aufgerufen werden und werden aller Voraussicht nach negativ entschieden. Natürlich kann das individuelle Verfahren auch von Seiten der Kläger zurückgenommen werden. Dazu reicht eine einfache Mitteilung an die Krankenkasse bzw. (wenn zutreffend) an das Gericht.

Selbstverständlich steht es den Klägern aber auch frei, das eigene Verfahren weiterzuführen und den Weg durch die Instanzen weiter zu verfolgen.

Ich trete mit dieser Abschlussinformation, 7 Jahre nach Ausscheiden aus dem aktiven Dienst, in den Ruhestand und stehe nicht mehr zur Verfügung. Wie der Deutsche Familienverband und der Familienbund der Katholiken weiter vorgehen, wird sicher noch durch einen Newsletter mitgeteilt.

Nach so vielen gemeinsamen Jahren auf beschwerlichem Weg seien mir einige persönlichen Worte erlaubt:

An erster Stelle bedanke ich mich bei Ihnen für ihr Vertrauen und Durchhaltevermögen. Mein besonderer Dank gilt dem Landessozialrichter a.D. Dr. Jürgen Borchert, der stets für uns da war und mit ungezählten Schriftsätzen die Interessen der Familien vertreten hat.

Leider ist es uns nicht gelungen, die Öffentlichkeit und das Bundesverfassungsgericht davon zu überzeugen, dass es um Fragen geht, die rund 90% der Bevölkerung betreffen. Die Klagen der Eltern strebten stellvertretend für alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten das Ziel einer zukunftsfesten gesetzlichen Sozialversicherung an, die dem Anspruch der Belastung nach Leistungsfähigkeit entspricht. Es ging um den Eingriff in die Taschen der Beitragszahler, nicht um Leistungen. Familien werden nicht zu wenig gefördert, sondern sie werden zu hart belastet. Deshalb wurde bei den Elternklagen auf die Architektur von, im Steuerrecht längst etablierten, Freibeträgen gesetzt.

Stattdessen wurde überwiegend so getan, als wollten „drei katholische Familien aus Freiburg“ für sich mehr Netto vom Brutto erstreiten. Statt endlich zukunftsweisende Ideen einer Neugestaltung der gesetzlichen Sozialversicherung zu entwerfen und zu diskutieren, wurden in altbekannter Weise „fordernde Familien“ gegen „hoch belastete ungewollt Kinderlose“ ausgespielt. Eine Strategie, die unweigerlich zur weiteren Spaltung der Gesellschaft und schlussendlich zum Zusammenbruch führen wird.

Möglicher Weise kommt ihnen die Überschrift dieses Infodienstes seltsam vor?

Es steht mir nicht zu, das oberste deutsche Gericht zu kritisieren. Die Assoziation eines Würfelspiels kann ich mir allerdings nicht verkneifen angesichts einer Gerichtsentscheidung, die mit der eigenen Rechtsprechung bricht, ohne dies offen zu legen. Zudem wurde die ökonomische Fachwissenschaft ignoriert. Eine mündliche öffentliche Verhandlung unter Einvernahme der Sachverständigen wäre zwingend erforderlich gewesen. Sie sollte laut Bundesverfassungsgerichtsgesetz ohnehin der Regelfall sein, unterblieb aber bei dieser Entscheidung.

Und ich setze noch eines drauf:

Familien rutschen wegen Sozialbeiträgen in Armut? Dann sollen sie doch „Hartz IV“ und/oder Grundsicherungsleistungen beantragen!

Unfassbar? Nein, die Konsequenz der Aussagen des Bundesverfassungsgerichts.

Unser Grundgesetz ist eine liberale Verfassung mit einer radikalen Sicht auf das Gemeinwohl. Daran kann kein Zweifel sein. Was aber ist von der Erlaubnis des BVerfG zu halten, der Gesetzgeber dürfe, jenseits der verfassungsrechtlich auch im Beitragsrecht der Sozialversicherung zu berücksichtigenden äußersten Belastungsgrenzen einer erdrosselnden Wirkung, entscheiden, in welchem Maße ein noch höheres Maß an Solidarität mit den Kindererziehenden von Kinderlosen eingefordert werden kann?

Anders als das Gericht argumentiert und begründet Dr. Jürgen Borchert: „Eltern, die ihre Kinder ohne weiteres aus dem selbst erworbenen Einkommen schichtangemessen unterhalten könnten, werden zu Sozialleistungsempfängern gemacht zugunsten derjenigen, die in besonderer Weise von den Erziehungsleistungen der Eltern profitieren, sei es wegen des fehlenden Unterhaltes oder wegen der Beitragsverschonung ihrer besonders hohen Einkommen jenseits der Bemessungsgrenzen!“.

Erste Analysen weisen auf die Einschätzung einer handwerklich schlechten, zwar frustrierenden, aber hinzunehmenden Rechtsprechung hin. Sicher sind dazu etliche Fachaufsätze von Juristen, Ökonomen und Politikwissenschaftlern zu erwarten.

Ob es dabei bleibt, dass die Klagen von Familien am Ende sind und ob der einzige Weg die politische Verbands- und Lobbyarbeit ist, kann ich nicht beurteilen. Jahrzehntelanges politisches Engagement ohne nennenswerten Erfolg führten ja gerade zum Aufruf:

„Wir jammern nicht – wir klagen“.

Weitermachen?

Falls Sie bestehendes Unrecht an Familien nicht hinnehmen wollen, ohne alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, sollten Sie jetzt weiterlesen:

Es gibt die durchaus berechtigte Auffassung, dass sich eine „Individualbeschwerde“ an den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte (EGMR) hinsichtlich der Verletzung des „Prinzips eines fairen Verfahrens“ bestens begründen lässt.

Denn die Kläger mussten nicht damit rechnen, dass sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) von tragendenden Erwägungen desselben Gerichts im Pflegeurteil 2001 ohne vorherigen Hinweis verabschiedet; schon gar nicht damit, dass dies ohne eine mündliche Verhandlung geschieht. Gleiches gilt dafür, dass die Kläger ihre Ausführungen mit ökonomischem Sachverstand begründet haben, das BVerfG diesen jedoch überging, ohne selbst Sachverständige hinzuziehen oder nachzuweisen, dass der erforderliche Sachverstand im Kreise der Richter vorhanden war. Das BVerfG hat eine geltend gemachte Verfassungswidrigkeit einer Norm aus allen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beleuchten. Das gilt auch für die ausgebrachte Rüge einer Verletzung des Art. 2 Abs, 1 GG in Verbindung mit Gehalten des Rechtsstaats- und des Sozialstaatsprinzips.

Mit dieser Begründung können Sie sich gegen den Druck zur Rücknahme ihrer Rechtsmittel zur Wehr setzen und sich mit dem weiteren Ruhen bis zur Entscheidung durch den EGMR einverstanden erklären.

Sollten ihr Verfahren bei einem Landessozialgericht ruhen, und Sie Interesse an der Weiterverfolgung haben, melden Sie sich bitte beim Deutschen Familienverband (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!). Dieser wird, mit Ihrer Erlaubnis, die Information an seinen juristischen Berater weiterleiten zur Prüfung einer Beistandschaft oder einer Mandatsübernahme.

Mit nochmaligem Dank und besten Wünschen
Ihr Siegfried Stresing

Elternklagen Stresing Zimmermann

  • Siegfried Stresing (li., Deutscher Familienverband) und
  • Georg Zimmermann (re., Familienbund der Katholiken)

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